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Was bedeutet Weideln: Bedeutung, Definition & Herkunft | Jugendsprache


weideln

Viele Wortschöpfungen sind so fest im Sprachgebrauch integriert, dass die Anwender kaum mehr darüber nachdenken, wie einzelne Begriffe überhaupt entstehen konnten, was der eigentliche Anlass für sie war oder ob sie sich aus ihrer ursprünglichen Form weiterentwickelt haben.

Das mag auch für das Wort weideln gelten – an sich ein altdeutscher Ausdruck, der in seiner damaligen Interpretation heute aber nicht mehr verwendet wird. Und der seit einigen Jahren durch den Fauxpas einer deutschen Politikerin eine neue Bedeutung erhalten hat.

Was bedeutet weideln: Definition und Bedeutung

Wohl jeder Mensch kennt zahlreiche Situationen im beruflichen und privaten Alltag, in denen man sich unwohl oder sogar deplatziert fühlt. Schnell werden Gedanken wach, daraus zu entschwinden. Etwa, wenn sie sich Stress, ungerechtfertigten Vorwürfen oder sonstigen negativen Einflüssen ausgesetzt sehen.

Genau dafür ist im Jahre 2017 das vornehmlich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verwendete Verb weideln entstanden. Es beschreibt somit die meist völlig übereilte, panikartige und vielleicht sogar etwas peinlich wirkende Flucht aus einem Gespräch oder dem Zusammentreffen mehrerer Menschen.

Verlässt die Lehrerin also das Klassenzimmer, weil die Schüler mal wieder nicht ihren Anweisungen folgen, dann weidelt sie. Und wenn ein Teilnehmer im Interview mit unangenehmen Fragen konfrontiert wird und der Runde augenblicklich den Rücken zukehrt, dann weidelt auch er.

Die Weiterentwicklung des Wortes

In der Zeit seit dem Jahr 2017 hat sich der Begriff weideln aber ein wenig verändert. Er wird heute für alle Lebenslagen verwendet, in denen der Betroffene eine bestimmte Situation zu vermeiden versucht.

Umgangssprachlich drückt sich der Gemeinte sich also vor dem, was ihn erwartet.

Wer sich schnell in sein Zimmer zurückzieht und ein Telefongespräch vortäuscht, weil er gebeten wurde, mal eben den Müll zur Tonne zu bringen, der weidelt.

Spielt ein Schüler krank, da er für die anstehende Mathe-Arbeit nicht gelernt hat, so hat auch er das Weideln für sich entdeckt.

Innerhalb eines Gespräches bedeutet weideln aber zugleich, zwar vor Ort zu bleiben – den gestellten Fragen aber auszuweichen und die gewünschte Antwort darauf zu verweigern. Das kann etwa durch das Stellen einer Gegenfrage oder durch das Diskreditieren des Fragestellers passieren.

Eine Methode, um das Gespräch an sich zu reißen

Vor allem in modernen politischen Debatten wird das Weideln immer häufiger sichtbar. Gesprächspartner gehen dabei kaum oder gar nicht mehr auf zuvor Gesagtes ein. Es findet ein willkürliches Springen zwischen einzelnen Themen statt. Der Kontext wird in der Folge nicht mehr beachtet.

Der jeweilige Gegenstand der Unterhaltung verkommt zum Spielball der Diskutanten, die in der Ablenkung vom Wesentlichen nicht nur ein Stilmittel finden – sondern ebenso eine probate Variante, um auf unliebsame Fragen nicht antworten zu müssen.

Wer weidelt , der verlässt also nicht zwangsläufig den Raum. Sondern er umgeht den Kerngehalt einer Diskussion. Das Weideln würde zumindest in dieser Hinsicht dem Derailing gleichen, bei dem häufig auch versucht wird, das Thema bewusst zu wechseln und das Gespräch auf eine andere Ebene zu ziehen.

Der Hintergrund des Begriffs

Das Weideln geht auf eine Politikdebatte im Zweiten Deutschen Fernsehen zurück, die im September 2017 von der Moderatorin Marietta Slomka geleitet wurde.

In der Gesprächsrunde befanden sich neben weiteren Teilnehmern die AfD-Politikerin Alice Weidel sowie der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.

Er war es, der sich in der Diskussion für eine kontrollierte Einwanderung von Menschen aus anderen Nationen nach Deutschland einsetzte, weswegen er von Weidel kritisiert wurde. Er konterte, indem er Weidel bat, sich zunächst einmal von den in ihrer Partei herrschenden rechtsextremen Strömungen zu distanzieren.

Wenige Sekunden später verließ Weidel beleidigt die Runde und das Fernsehstudio – alles unter dem spöttischen Applaus und dem Jubel der anwesenden Zuschauer. Das Weideln als Vermeiden einer unangenehmen Antwort und als fluchtartiges Verlassen nahm dort seinen Anfang.

Die Gretchenfrage im neuen Gewand

Ganz neu ist das Weideln allerdings nicht. Denn das Umgehen einer Antwort auf eine gestellte Frage lässt sich bereits in Johann Wolfgang von Goethes Drama “Faust” finden.

In dem erstmals im Jahre 1808 veröffentlichten Werk wird der Protagonist Faust von seiner Geliebten Margarethe – zumeist als Gretchen bezeichnet – gefragt, wie er es denn mit der Religion halte. Eine wichtige und wohl auch existenzielle Frage, auf die sich nicht unbedingt klar und eindeutig reagieren lässt. Erst recht nicht mit wenigen Sätzen.

Faust, der in dem Stück als Universalgelehrter auftritt, weiß daher nicht, wie er antworten soll. Er vermeidet ein Bekenntnis für oder gegen seinen Glauben und entzieht sich somit der Situation durch eine verbale Flucht. Auch er weidelt also.

Den Begriff gab es bereits vor langer Zeit

Übrigens ist es nicht unwahrscheinlich, dass Goethe das Verb weideln kannte. Zwar nicht in seiner heutigen, so doch aber in seiner ursprünglichen Bedeutung. Immerhin stand Goethe in engem Austausch mit den Brüdern Grimm und zeigte großes Interesse an deren Forschungen zur deutschen Sprache.

Das Brüderpaar durchwanderte das Land und stellte wissenschaftliche Studien zu den Mundarten der einzelnen Regionen auf. Jene Grimms waren es auch, die das Weideln erstmalig in ihrem 1838 begonnenen Wörterbuch definierten.

Einerseits kommt der Begriff demnach immer dann zur Anwendung, wenn Lebensmittel – etwa Fleisch – den Geschmack von Wild annehmen. Andererseits meint das Weideln das Schwimmen ohne eigenen Antrieb und somit das ziellose Gleiten auf dem Wasser.

Wortbildungen als Spott auf Politiker

Zwar hat das von den Grimms umschriebene Weideln nichts mit der heutigen Wortbedeutung zu tun. Dennoch zeigt die Entwicklung, dass auch alte und längst überholte Begriffe manchmal in ein neues Gewand gesteckt und von einer jungen Generation an Nutzern gebraucht werden können.

Das Gute für Alice Weidel: Sie ist nicht die einzige AfD-Politikerin, die es mit ihrem Verhalten zu einem Jugendwort gebracht hat. Ihre Kollegin Beatrix von Storch antwortete auf eine über das Onlineportal Twitter gestellte Frage, ob sie das Schießen auf ausländische Frauen und Kinder an deutschen Grenzen befürworte, mit einem Ja.

Auf den sich darauf regenden öffentlichen Sturm der Entrüstung reagierte sie, indem sie sagte, sie sei mit der Maus ausgerutscht und habe die falsche Antwort angeklickt. Dem Weideln steht somit das Mausrutschen gegenüber.

So entsteht Sprache.